Selbstorganisierende Produktion: »KI-Kompetenz alleine reicht nicht«

Die Produktion der Zukunft organisiert sich selbst. Dafür muss vom vernetzten Sensor bis zur sicheren Cloud-Schnittstelle vieles optimal zusammenspielen

Herr Sauer, die selbstorganisierende Produktion ist in aller Munde – was steckt dahinter?

Olaf Sauer: Der Trend geht seit längerem zu immer größerer Variantenvielfalt und höherem Individualisierungsgrad bei gleichzeitig sinkenden Lieferzeiten. Konventionelle Produktionssteuerungsprinzipien wie etwa die in der Autoindustrie übliche Perlenkette, also die sequentielle Bearbeitung einer Karosse nach der anderen, stoßen da an ihre Grenzen. Die Arbeitsinhalte an einzelnen Stationen ist einfach zu verschieden – die Auslastung von Mitarbeitern und Produktionsanlagen sinkt. Deshalb ist die gar nicht so neue Vision, dass intelligente, vernetzte Produkte sich individuell durch eine modular aufgebaute Produktion bewegen, aktueller denn je.

 

An die Stelle der Förderbänder treten also fahrerlose Transportsysteme, die jede Karosse individuell von Station zu Station fahren?

Sauer: Das ist die sichtbarste Veränderung. Die großen Herausforderungen, für die wir am Fraunhofer IOSB gemeinsam mit Anwendungspartnern die besten Lösungen suchen, liegen aber in der Steuerungs- und Automatisierungs-IT. Es gilt zunächst, Produkte, Teile und Transportmittel permanent zu lokalisieren und zusammen mit den Produktionsmitteln digital abzubilden – IIoT und Echtzeit-Visualisierung sind die Stichwörter. Und dann soll sich dieses ganze komplexe Geschehen so organisieren, dass es die Effizienz maximiert und robust auf unvorhergesehene Ereignisse reagiert: Auftragsschwankungen, Lieferschwierigkeiten, Ausfälle einzelner Module ...

Dafür braucht es KI-Kompetenz, reinforcement learning ist hier etwa ein vielversprechender Ansatz. Das alleine reicht aber nicht, denn erst mal müssen die Grundlagen stimmen, was Themen wie Simulation, Sensorik, echtzeitfähige Vernetzung, Interoperabilität und die geeigneten OT-/IT-Architekturen unter Einbeziehung von Edge und Cloud anbelangt. Auf den genannten Feldern verfügen wir über einen großen Erfahrungsschatz und gehören zu denen, die den State of the Art geprägt haben und weiter vorantreiben.

 

Sie erwähnen Edge und Cloud – viele Unternehmen wollen aber ihre Daten nicht aus der Hand geben.

Sauer: Es braucht vertrauenswürdige Infrastrukturen – aber Abkapselung ist eine Sackgasse, wenn man die Potenziale der Digitalisierung in der Produktion heben will. Vielmehr müssen drei Anforderungen gleichzeitig erfüllt sein: Performance, Datensicherheit und Vernetzungsmöglichkeiten über den einzelnen Standort hinaus, um auch Logistikketten effektiv zu organisieren. Dafür ist eine sorgfältig abgestufte Strategie nötig. Deshalb engagieren wir uns mit Partnern seit Jahren in Initiativen wie dem Industrial Data Space, German Edge Cloud/ONCITE und Gaia-X, die genau diese Anforderungen adressieren und auch ausgeklügelte Mechanismen umfassen, um technisch die maximale Datensouveränität und -kontrolle zu gewährleisten.

 

Der Automatisierungsexperte Dr.-Ing. Olaf Sauer koordiniert die Aktivitäten des Fraunhofer IOSB im Geschäftsfeld Automatisierung und Digitalisierung.

 

Automatisierung und Digitalisierung

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